28. November 2017


Ich wollte etwas, was ich immer bei mir tragen kann

von Gela Meier

"Manchmal liebkose ich das Tattoo und sage dann, Na, Basti? Meistens, wenn ich ins Bett gehe. Diese Berührung ist wie ein Streicheln, ein besonderes. So empfinde ich es. Ganz zart.  Als ob ich den Jungen streichle."

 

Während Gela Meier diese Worte spricht, fährt sie sanft über die Innenseite ihres linken Oberarms. An dieser Stelle - nicht auf den ersten Blick sichtbar, aber auch nicht versteckt - trägt die 56-Jährige ein Tattoo. Ein Tattoo für ihren Sohn Sebastian. Er starb vor sechs Jahren völlig unerwartet durch einen Hirnschlag, nur 25 Jahre jung.

 

"Tattoos waren früher nie ein Thema für mich. Ich dachte eher immer, diese Menschen verschandeln sich so ein wenig ihren Körper. Im Nachhinein war das natürlich ganz anders. (...) Ich wollte etwas für mich persönlich bei mir haben, was ich immer bei mir trage nach dem plötzlichen Tod meines Sohnes Basti."

 

Den Sohn so nah wie möglich bei sich zu haben, so lange sie lebt - das sind Versprechen, die das Leben nicht einhalten konnte, eine Tätowierung schon. Ihre Tochter und ihr Ehemann bestärken Gela Meier in ihrem aufkeimenden Wunsch, Sebastian auf ihrer Haut zu verewigen. Sie beginnt, über Symbole nachzudenken, die für ihren Sohn und ihre Beziehung zu ihm stehen.

"Da war zunächst das Sternbild des Großen Wagens. Den obersten Stern habe ich für meinen Mann, Andreas, gekauft. Da sagen wir uns, dort sitzt unser Basti. Dazu gibt es auch eine Widmung: Papa, wenn du zu mir empor schaust, dann werde ich zu dir herab winken. Ich werde dir Trost senden, denn traurig sollst du nicht mehr sein. Ich habe jetzt einen eigenen Stern und passe auf dich auf.

Manchmal schauen wir in den klaren Himmel und sagen, Da oben ist unser Basti. Denn Basti ist jetzt unser Engel. Deshalb wollte ich unbedingt in meinen Tattoo Engelsflügel haben.

Er beschützt uns jetzt, als Schutzengel. Auch ein Herz wollte ich, weil er immer nah an meinem Herzen ist. Er ist sowieso in meinem Herzen."

 

Heute trägt Gela Meier ihr Tattoo mit Stolz, mit Wehmut, mit der ganzen Bandbreite an Gefühlen, die eine Mutter durchlebt, die ihr Kind verloren hat. Und sie kommt ins Gespräch mit Anderen, denen sonst so oft die Worte fehlen.

"Manche fragen, Was hast du denn da? Ist das ein echtes Tattoo? Dann lesen sie meist. Reagieren bedrückt, weil sie erahnen, was es bedeutet. Und manchmal fragen sie dann weiter.

Mir tut es gut, wenn Menschen nachfragen, denn ich rede gern offen darüber, was mich bewegt. Es hilft mir. Durch das Reden fühle ich mich freier. Die Last der Gedanken kommt so aus dem Körper raus. (...) Das Tattoo ist etwas Bleibendes. Und auch Basti ist und bleibt mein Junge. Das ist so ein Schmerz. Den Schmerz nehme ich mit bis zu meinem eigenen Tod. Ich will meinen Jungen ja nicht aus meinem Leben verlieren. Das will ich nicht. Das Tattoo bleibt bis zu meinem Tod. Daher wird auch nicht der Gedanke kommen, es wegmachen zu lassen." 

Die Haut wird zur Leinwand innerster Gefühle. Die Zeichnungen, Symbole und Schriftzüge, die Menschen auf ihren Körpern tragen, werden zu Ausdrücken ihrer Trauer und ihrer Angst vor dem Vergessen. Gleichzeitig spenden sie Trost und stellen Nähe her. Wenn Gela Meier am Abend über die Sterne und das geflügelte Herz auf ihrem Arm streichelt, dann spürt sie nicht nur sehr deutlich ihren Sohn, sondern vor allem sich.  

Interview: Katrin Hartig

Text: Anne Scheschonk

Fotos: Stefanie Oeft-Geffarth

 

Das Interview mit Gela Meier entstand 2015 im Rahmen des Projekts "trauertattoo - Unsere Haut als Gefühlslandschaft", aus dem ein Buch sowie eine Wanderausstellung entstanden sind. Die Ausstellung "trauertattoo" kann derzeit in Bitterfeld, danach in Hamburg besucht werden. Alle Informationen und Termine finden Sie hier: 

 

www.trauertattoo.de

 

Gela Meier (56) 

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