15. November 2015


Neunzehn Tage. Haileys Geschichte

von Melanie Heymann

 

Hailey sollte eigentlich am 13.09.2012 geboren werden. Auf Grund von Komplikationen an meiner  alten Kaiserschnittnarbe kam sie schon am 18.06.2012 in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt. Sie war zarte 35 cm klein und 986 g leicht. 


Einen Tag später wurde sie nach Leipzig verlegt, wo sie besser versorgt werden konnte. Am Anfang sah auch alles gut aus, aber hat sie einen Schritt vor gemacht, kamen dann zwei Schritte zurück.


Hailey war zu schwach und verlor nach nur 19 Tagen den Kampf gegen eine schwere Sepsis und Hirnblutung.

Foto: Wikimedia,  GNU Free Documentation License, Autor: Aoineko
Foto: Wikimedia, GNU Free Documentation License, Autor: Aoineko

Mein damaliger Partner, meine Mutti und ich waren bei ihr, als sie einschlief.

Die ersten Tage waren für uns wie ein Erleben durch Nebel. Wir waren nicht richtig anwesend, sondern haben nur funktioniert. Drei Tage später sind wir nach Hause und haben unsere große Tochter von den Eltern meines damaligen Freundes abgeholt. Wir hatten sehr viel zu planen in dieser Woche und waren gut abgelenkt. Es musste ja die Beerdigung organisiert werden. Auch wenn es vielleicht absurd klingen mag, aber ich wollte das damals schnell hinter mich bringen.

Am Anfang waren die Trauer und Verzweiflung extrem. Verkriechen konnte ich mich aber nicht, da ich meine große Tochter, damals erst etwas über zwei Jahre alt, versorgen musste. Ich habe mich damals, sobald sie geschlafen hat, regelrecht in den Schlaf geflüchtet – obwohl ich jedes Mal dann vor meinem inneren Auge alles wieder durchlebte, ab der Sekunde, wo uns der Arzt sagte, dass sie es nicht schaffen wird.


Besonders schwer wird es um den Geburtstag, Todestag und natürlich Weihnachten. Die Phasen zwischen den extremen Trauerschüben sind mal größer, mal kürzer. Es kommt immer auf mein Umfeld an und was alles auf mich einprasselt. Ich schaue da oft in den Himmel und denke sehr intensiv an Hailey. Manchmal rede ich auch mit ihr. Ich erzähle, wie es uns geht und dass ich verdammt stolz bin, dass sie meine Tochter ist.

Gestern saß ich mit meiner Großen in der Bahn und auf einmal tauchten plötzlich wieder die Bilder vor meinen Augen auf, von dem Gespräch mit dem Arzt an Haileys Todestag. Da kamen ein paar Tränen. Meine Große bekam das natürlich mit und fragte, was sei. Ich hab ihr dann erklärt, dass  Hailey mir fehlt. Da meinte sie, dass sie ihr auch fehlte. Wir haben uns in den Arm genommen und dann ging es wieder ...


Ja, die Trauer ändert sich mit der Zeit.


Manche sagen, dass es mit der Zeit besser wird, manche, dass es schlimmer wird.
Ich stehe zwischen drinnen. Mal ist es besser mit der Trauer, mal wieder extremer.

Manchmal hoffe ich noch, dass ich aus dem Albtraum erwache. Aber mit dem Tag merkt man, dass es bittere Realität ist, mit der man klar kommen muss.

Haileys Papa war die ersten zwei Wochen nach ihrem Tod daheim, danach musste er wieder auf Montage und ich war mit meiner großen Tochter allein. Bei uns hatte es schwer gekriselt, aber der Tod hat uns wieder mehr zusammen geschweißt.

Meine Mutti war ja dabei als sie einschlief und darüber bin ich sehr dankbar. Einige Freunde haben sich abgeschottet und meldeten sich ewig nicht. Andere waren eine große Stütze. Am Anfang war ich sehr enttäuscht und hätte mir mehr Verständnis gewünscht, aber mittlerweile sehe ich es anders. Vielleicht haben sie sich abgeschottet, weil sie selbst überfordert waren und nicht wussten, wie sie mit uns umgehen sollen.


Eigentlich finde ich es schade, dass das Thema Sternenkinder oft noch sehr tabuisiert wird. Das verlangt wird, so weiter zu machen, als wäre nichts gewesen. Aber das ist nicht möglich. Meine Familie und Freunde gehen damit gut um und haben auch ein offenes Ohr, wenn man mal wieder über das Geschehene reden will.

Wir waren am Anfang oft bei der Caritas Hospiz Eliza und haben in der Frau, die dort die Trauerbegleitung machte, eine Person gefunden, die sehr nachempfinden konnte, wie es uns ging, da sie selbst Sternchenmama ist.


Wir haben im Oktober 2014 unser Folgewunder bekommen, auch ein Mädchen 

Die Schwangerschaft verlief am Anfang nicht so gut und es drohte eine Fehlgeburt. Doch Hailey ist ein guter Schutzengel und so blieb unser Wunder bei uns.


Körperlich und seelisch war die Schwangerschaft geprägt von ANGST.



Ich lag – verteilt über die Schwangerschaft – zwölf Wochen im Krankenhaus … Unter anderem auch drei Wochen auf der offenen Station. Ich erlitt am 07.07., einen Tag nach dem zweiten Todestag von Hailey, einen schweren Zusammenbruch. Mein Hausarzt hat mich dann eingewiesen. Die ersten zwei Tage habe ich nur  geschlafen und am dritten Tag habe ich mit den Therapien begonnen. Zu dem Zeitpunkt war ich in der 21./22. Schwangerschaftswoche. Ich kam also der Schwangerschaftswoche, wo es passierte,  immer näher … Das war auch der Grund für meinen Zusammenbruch. Ich hatte dann alle zwei bis drei Tage Gespräche mit einer Psychologin. Sie war, wie es der Zufall wollte, auch schwanger. In ihrem Bericht stand dann, dass ich eine mittelgradige depressive Episode hatte.


Ich bin so froh, mir Hilfe gesucht zu haben.


Leider habe ich seit dem Zusammenbruch eine Blockade zum Grab zu gehen. Ich gehe zwar ab und an mal hin, aber nicht mehr so oft wie vorher. Meist habe ich ein großes Verlangen hin zu gehen, dann gehe ich auch. Dann gibt es aber Phasen, wo ich gar nicht hin gehen kann. Da zünde ich dann virtuell und auch bei mir zu Hause eine Kerze für sie an.


Ich war im Oktober 2013 zu einer Mutter-Kind-Kur zur Trauerverarbeitung. Da hatten wir so genannte Thematisierte Zentralgespräche, die gewisse Themen der Trauer aufgreifen. Unter anderem, wie Kinder trauern.

Foto: Wikimedia, Autor: GunnerVV
Foto: Wikimedia, Autor: GunnerVV

Dort wurde uns die Trauer wie ein großer Ozean beschrieben. Dann gibt es Phasen der Trauer, wo die Wellen einen nur leicht anstoßen und man einfach drüber springen kann … Dann gibt es aber auch Wellen der Trauer, die so mächtig sind, dass sie einen umhauen und überrollen.

 

Dort erfuhr ich auch, dass man die Trauer nie verstecken sollte vor den Geschwisterkindern. Sie geben sich dann selbst die Schuld, wenn sie merken, dass es einem nicht gut geht. Ich lasse meine Große selbst auf mich zukommen, wenn sie über Hailey reden will.

 

Seit der Geburt unseres Folgewunders im Oktober 2014 geht es mir besser, auch wenn sie Hailey nie ersetzen wird. Leider ist die Beziehung zu dem Vater meiner drei Kinder in diesem Frühjahr  endgültig zerbrochen, aber wir sind im Guten auseinander gegangen. Er sieht seine Kinder jedes Wochenende.

Melanie Heymann ist 25 Jahre alt. Sie lebt mit ihren zwei Töchtern in Zwickau. Wir danken Melanie sehr dafür, dass sie ihr Schicksal mit uns teilt, um uns einen Einblick zu gewähren, wie sie mit ihrer Trauer um Hailey lebt. 

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