16. Dezember 2016


Das Zimmer meines Kindes: KIKI

von Kerstin Walter

Kiki starb im Alter von 25 Jahren am 5. Mai 2009 an den Folgen einer Brustkrebserkrankung.

 

Sofort war mir klar: Weg aus dieser Stadt, raus aus dieser Wohnung, die uns gefühlt so viel Schreckliches gebracht haben. Zurück in die 600 km entfernte Heimatstadt nach 21 Jahren. Schon lange hatten wir das geplant, aber irgendetwas war immer: Schule, Ausbildung, Krankheit.

 

Und Kiki kommt mit … Leider anders – nicht wie erträumt und erhofft …

Kikis Zimmer habe ich fotografiert und in meiner neuen Wohnung fast genauso wieder hergerichtet. Auch ihre Sammel-Figuren stehen in genau der Reihenfolge, wie Kiki sie in den Vitrinen platziert hatte. Geblieben sind Kikis Schränke, gefüllt mit ihrer großen Disney-Sammlung, Kikis Bett und ihre wunderschöne Deckenlampe – so viel und doch so sehr wenig oder so wenig und doch so viel.  

 

Das war mir sehr wichtig! Kiki braucht ihre Schätze doch, wenn sie wiederkommt! Wenigstens ihr Zimmer sollte bei all dieser LebensUNORDNUNG „in Ordnung“ sein! Ich wollte in diesem Chaos so wenig Veränderung wie möglich, so viel festhalten, wie nur möglich. Kikis Zimmer ist für mich ein Stückchen heile Welt.

Ich konnte DAS einfach nicht begreifen … dieses NIE wieder!

 

Zu hoch waren die Versprechungen „Alles wird gut!“ Vor der ersten Chemotherapie, ein Jahr später vor der zweiten Chemotherapie mit einer Lebenserwartung von sechs Wochen und wieder ein Jahr später mit einer Lebenserwartung von 14 Tagen, wieder die Empfehlung Chemo und „Alles wird gut!“

 

Auch ein langer Krankheitsverlauf kann durchaus bedeuten, dass der Tod überraschend und plötzlich kommt.

 

„Die Hoffnung ist das Federding,

das in der Seel´ sich birgt

und Weisen ohne Worte singt

und niemals müde wird.“

 

(Emily Elizabeth Dickinson; Übersetzung © Walter A. Aue)

 

Heute nach über sieben Jahren weiß ich sicher: Mein geliebtes Kind kommt nicht wieder und braucht jetzt all diese Dinge nicht mehr. 

 

Ich spüre aber auch: Kiki ist immer da, in meiner Nähe, unverlierbar …

 

Nach einem nochmaligen Umzug haben sich dann auch einige wenige Dinge verändert. Kikis Lieblingsschuhe stehen nun nicht mehr im Flur, Kikis Zahnputzzeug nicht mehr im Bad, Kleidung habe ich – bis auf Lieblingsstücke – gespendet.

 

Ihr Zimmer aber bleibt so. Ich brauche das so, wie auch die vielen pinkfarbenen Lichtblicke in allen anderen Zimmern. Noch mehr Weniger kann und will ich einfach nicht ertragen. 

 

„Gedanken von Sehnsucht getragen

fliegen auf den Flügeln der Liebe zu Dir,

immer nur wollen sie sagen:

Vermisse Dich sehr, wärst Du nur hier!

Alle Zeiten ohne Dich verbringen,

macht Tage so schwer und manche Nacht.

Oft kann man nicht hören, wenn Vögel singen

uns sieht auch nicht, wenn die Sonne lacht.

Viele der vier Jahreszeiten

sind mir schon ohne Dich begegnet,

es hat geblüht, geschneit und geregnet.

Im Sturm der Gezeiten hätte ich gern

Freud und Leid mit Dir geteilt und getragen.

Was mich nun trägt: Ein Meer von Erinnerungen,

ein Hauch von Dir in jeden Raum - an allen Tagen.“

 

(nach Hildegard Lange)

 

Kerstin Walter (55) lebt in Dresden. Der Tod ihres Kindes, sagt sie, hat sie sprichwörtlich sprachlos gemacht. Mit dem Schreiben tritt sie dagegen an. Denn ihr ist es wichtig, zu erinnern und von ihrer Tochter zu erzählen. Kerstin Walter ist Vorstandsmitglied des Vereins Whisper von Soul e.V., der Familien ermutigen möchte, für und über ihre verstorbenen Kinder zu schreiben – für sich selbst und andere Betroffene. Sie ist Mitautorin der Bücher Voll doof tot zu sein, wenn alle traurig sind und Wir für immer … wenn Geschwister sterben. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Kerstin (Freitag, 16 Dezember 2016 12:28)

    Herzlichen Dank an Aktion Lichtpunkt für diese Gelegenheit, von meiner Tochter Kiki zu erzählen. Wie wir Eltern auch unser Leben gestalten, ich bin überzeugt unsere Kinder finden, das machen wir gut!