11. Oktober 2012


Tills Reise zu den Sternen

“Ich trage meinen Lichtpunkt für meinen

innigstgeliebten kleinen Sternenmann Till Noah.”

(Brigitte Trümpy, Schweiz)

Brigitte Trümpy hat ihren Enkelsohn Till verloren. Hier erzählt sie ihre Geschichte. Es ist eine Geschichte von Angst, Hoffnung und Ergeben, von einem viel zu kurzen Leben und von viel Kraft.

Tills Reise zu den Sternen

Es ist Weihnachten 2006. Wie immer sind auch unsere Tochter und ihr Mann mit den beiden innigstgeliebten Enkelkindern Till und Malin zu uns ins gelbe Haus gekommen, wo sie so gerne und oft zu Besuch sind. Gerade zieht nach der schweren Zeit mit Malin, die nach einer Masernimpfung an einer Hirnentzündung erkrankte und monatelang mit uns um ihr kleines Leben kämpfte, wieder etwas Leichtigkeit in unsere Leben ein. Nun feiern wir dieses ganz besonders kostbare Glück.

Abends gehe ich wie immer noch zum Friedhof mit den Kerzen für meine Eltern und meine Grandmaman. Till begleitet mich, und ich staune noch, wie er mit dem Plastiktraktor den steilen verschneiten Weg hochfährt. Während ich die Kerzen zünde, schaut sich der Kleine die Kindergräber an und rechnet aus, wie alt sie wurden.  “Heute sterben fast keine Kinder mehr in diesem Land”, sage ich ihm mit so sicherer Stimme und nichts ist in diesem Moment weiter weg für mich als ein Kindertod.

 
Am nächsten Tag erbricht Till, wie schon einige Male zuvor. Als wir im blauen Haus ankommen, sagt meine Tochter: “Mama, ich hab auf dem Internet nachgeschaut. Es könnte sein, dass er einen Hirtumor hat.” Ich höre es, kann es aber weder fassen noch glauben. Alles in mir schreit nein, nicht schon wieder und nicht schon wieder wir. Und schon fängt der noch so brüchige Boden unter uns wieder zu zittern an. Noch am gleichen Tag gehen seine Eltern mit ihm zum Kinderarzt, der sie zum Notfall des Kinderspitals schickt. Zusammen mit meinem Mann und der kleinen Malin warte ich verzweifelt.

Irgendwann erscheint auf meinem Bildschirm diese entsetzliche Nachricht “Till hat einen Hirntumor”Der freie Fall beginnt. Willkommen auf Planet Onko. Wir müssen nun lernen, auf diese Station zu gehen, wo niemand hingehen möchte. Dort, wo die kahlen oder vom Cortison aufgedunsenen Kinder mit ihren Infusionsständern in den Gängen spielen. “Dort, wo die vom lieben Gott vergessenen Kinder sind”, schreibt uns ein Besucher in allergrösster Betroffenheit.


Till wird operiert und der Tumor entfernt. Wegen der vielen Metastasen im Hirnstamm und auf der Wirbelsäule muss sofort mit den Chemos angefangen werden. Aus einem blühenden gesunden bärenstarken Kind wurde ein kleines kahlgeschorenes Häufchen Elend, das da liegt mit geschlossenen Augen und unfähig zu reden. Monatelang dauern Chemos und dann die 60 Bestrahlungen. Für uns hat ein Leben begonnen, in dem nichts mehr planbar und durchschaubar ist.


Alles dreht sich um Till und um Krebs. Nur langsam erholt sich der Kleine von den Strapazen. Meistens nimmt er an, was durchgehalten werden muss. Er ist ein unendlich tapferer vernünftiger Patient, und alle Menschen schliessen ihn in ihre Herzen. Nach seiner Ersttherapie ist Till krebsfrei, aber die Schäden der aggressiven Therapien wiegen schwer.

Doch wir wagen es, wieder Hoffnung zuzulassen und richten uns ein auf ein Leben mit einem behinderten Jungen. Egal wie, Hauptsache, er ist noch da. Mit seiner positiven Lebenseinstellung verliert er nie seine Lebensfreude, und wir Grossen lernen so viel von ihm. Aus jedem Tag das Beste zu machen, darin ist er Weltmeister. 


Doch nach 11 Monaten schon und in einer Lebensphase, wo wir glauben, dass es ihm so gut gehe, kommt der niederschmetternde Bescheid, dass der Krebs wieder da ist. Jetzt gibt es nur noch eine Chance, die hochdosierte Chemo mit Stammzellen. Mit der Unterstützung seiner Eltern wird es durchgesetzt, dass immer jemand von uns in seinem Zimmer bleiben darf. Es wird eine schwierige Zeit, Till ist unendlich zart und schwach geworden und verliert auch noch sein Gehör von dieser Therapie. Tapfer wird er in Zukunft seine zebragestreiften Hörgerätchen anziehen und immer wieder verlieren.


Dazu kommen nun die Spätfolgen des Bestrahlens, deren Zerstörung immer offensichtlicher wird. So vieles ging kaputt, nur der Tumor nicht.Till ist nun ein schwerbehindertes Kind und muss eine Sonderschule besuchen. Geblieben sind seine Güte, sein Schalk und seine Fähigkeit, aus allem das Beste zu machen und jeder Lebenssituation etwas Gutes abzugewinnen. Irgendwann fängt er an, Kinderbibeln zu kaufen und findet einen Draht zu dem, den er Gott nennt und mit dem er sich unterhalten kann. Wir hören zu und staunen unendlich berührt. Kinder scheinen noch offene Türchen zu haben zu einer Spiritualität, die uns Grossen irgendwann verlorenging.

Till lernt uns auch, daran zu glauben, dass es weitergeht und keine Angst zu haben vor dem Tod.

Wiederum nach 11 Monaten dann der zweite Rückfall. Diesmal wissen wir, dass er sterben wird. Wir werden die Zeit, welche ihm noch bleibt, auskosten und füllen mit so viel Schönem und Gutem, so dass Till bis zuletzt sagen kann, er sei glücklich und sein Herz sei leicht. So viel Glück, Nähe und Fröhlichkeit packen wir noch ein, in dieses viel zu kurze Leben, weil wir wissen, dass es diese Erinnerungen sein werden, die uns helfen müssen, seinen Tod zu ertragen.


Am 4.9.2010 fliegt Till ganz sanft davon, zuhause im blauen Haus, umgeben von seinen liebsten Menschen. Wir bleiben zurück, unendlich traurig und doch so dankbar, dass er bei uns war und so viele wunderbare Spuren hinterlässt. Dankbar auch, dass er diese kranke Hülle nun verlassen durfte, um wieder frei zu sein. Es kann sein, dass Leben irgendwann nicht mehr die beste Option ist. Und dann müssen diejenigen, welche bleiben, loslassen, was sie lieben. Sein Schwesterchen bemalt seinen Holzsarg mit einem grossen Regenbogen und sagt: “Sarg ist ein hässliches Wort, ich sage dem jetzt Regenbogenhülle”. Und sie ist es, die ihren Bruder zusammen mit der Chauffeuse im Leichenauto auf den Friedhof bringt, nachdem sie mit ihm zum Abschied noch um seine Schule gefahren ist.

Dreamteam
Dreamteam

Alle mussten und müssen wir seither unsere Leben wieder neu anpacken und ausfüllen. Und wir tun das, indem wir diesem so sinnlosen und brutalen Kindertod etwas Sinnvolles entgegensetzen. Drei Generationen haben drei Projekte gestartet. Ich, meine Vernetzung von Sternenkinder-Grosseltern, Malin die Vernetzung der Sternenkinder-Geschwister und Tills Mama, meine Tochter Kerstin, die Aktion Herzensbilder In diese Visionen verpacken wir alles Erlebte, die Trauer um Till und die Liebe zu unserem Sternenkind, die Hoffnung auch, ihn irgendwann irgendwo wiederzufinden.

Und was uns trägt und hält und führt ist die Liebe.

Wir danken Brigitte dafür, dass sie Ihre Geschichte hier mit uns teilt und wünschen ihr alles Gute. Ihr Lichtpunkt wurde bereits auf der Landkarte gesetzt.

Holen auch Sie sich Ihren Lichtpunkt und setzen Sie ein Zeichen.

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