17. November 2014


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Ich funktionierte,

doch mein Denken lief Umwege

von Martina Hosse-Dolega

(Dritter Teil des Interviews zum Thema "Abschied")

 

Viele Formalitäten mussten erledigt werden. Nach Nicos Tod übernahm der liebevolle Papa meiner Kinder - gemeinsam mit den Omas - das Aussuchen des Ortes, an dem Nico beerdigt werden sollte. Sie fanden diesen Platz - umrahmt von zwei großen Bäumen, die aussehen, als hätten sie die Kraft in den Himmel zu wachsen. Die Wurzeln dieser Bäume versicherten uns, dass es ausschließlich "unseren Garten" dort geben würde. Ich hatte die Vorstellung, dass es eher ein Garten als ein Grab sein würde. Während des Aussuchens - so war es gedacht - sollte ich im Krankenhaus bleiben. Robin sollte nicht alleine bleiben und der Kaiserschnitt war erst 3 Tage her. Meine Familie wollte mich schonen. Es fiel mir schwer im Krankenhaus zu bleiben, aber ich stimmte zu. Ich vertraute, dass die Entscheidung, die wir getroffen hatten, richtig sei. 

Auch jetzt noch bin ich überzeugt, dass wir gemeinsam keinen passenderen Ort hätten finden können. Ich bin dafür sehr dankbar, dass es diesen "Garten unserer Kinder" gibt. Es war und ist uns wichtig, dass es sich um Wahlgräber handelt, die ein Nutzungsrecht von 30 Jahren haben und die nachzukaufen sind. Es wäre für mich undenkbar gewesen, wenn der Ort unserer Kinder nur 15 Jahre dieser besondere Platz hätte bleiben dürfen (und nicht nachzukaufen gewesen wäre). Es ist so wesentlich, Eltern darüber frühzeitig und umfassend zu informieren: über Grabarten,  Nutzungszeiten... Unvorstellbar, als junge Familie einen Ort zu haben, der über Jahre besucht wird und möglicherweise plötzlich nicht mehr da ist. Ich bin mir sicher, dass ich das hätte schwerer verarbeiten und verkraften können. Es hätte meine Trauerverarbeitung erschwert, möglicherweise verhindert. 


Das verdeutlicht die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Entscheidung, die in einer Zeit getroffen werden muss, in der Trauernde nur funktionieren, in der das Denken jedoch "Umwege läuft". Gerade in solchen Entscheidungssituationen bedarf es also einfühlsamen und fachlich kompetenten Menschen, die uns Trauernde unterstützen. Die anschließende Fahrt zum Bestatter und die entsprechenden Formalitäten erledigten wir gemeinsam. Den kleinen weißen Sarg wollten wir mit roten Rosen schmücken lassen. Wir vereinbarten, dass es keine Trauerfeier geben sollte. Die Verabschiedung sollte am Grab stattfinden - im engsten Familienkreis. Rückblickend würde ich vieles anders gestalten wollen. Mir ist aber sehr bewusst, dass es zu dieser Zeit ganz sicher nicht so möglich gewesen wäre, da die entsprechenden Menschen (ein beratender Bestatter und eine fachlich kompetente Trauerbegleiterin mit entsprechenden menschlichen Qualitäten) gefehlt haben. Mit Hilfe einer entsprechenden Unterstützung wäre eine Auseinandersetzung in Bezug auf einen individuellen Abschied und der Mut und das Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten sicherlich möglich gewesen. Mit meinem heutigen Wissen hätten wir die Beerdigung bestimmt nicht nur im allerengsten Familienkreis durchgeführt, sondern auch Freunden unserer Familien die Möglichkeit gegeben teilzuhaben. Durch den Ausschluss dieser Menschen haben wir uns zudem auch selbst Chancen beraubt: Die Chance mit diesen Menschen irgendwann später über unsere Kinder ins Gespräch zu kommen; die Chance, dass unsere Kinder besucht werden und sich mehr Menschen an die Geburtstag und Todestage von Nico, Robin und Joshua erinnern. 

Menschen, die unsere Kinder niemals kennenlernen und auch nicht an der Beerdigung teilnehmen konnten, haben keinerlei Erinnerungen. Sie hatten keine gemeinsame Zeit. Für sie sind unsere Kinder noch weniger existent. Zu dieser Situation haben wir - in Unwissenheit – beigetragen.  Leider. 


Tröstlich haben wir erlebt, dass auch Menschen, die nicht zur Trauerfeier kamen an uns dachten - uns Karten, Briefe und Blumen zur Trauerfeier schickten. Ich bekam sogar Wachsmalstifte und ein Mandalabuch geschenkt. Heute weiß ich mehr denn je - Eindruck braucht Ausdruck. Das, was mich bewegt, das, was tiefe Spuren in meine Seele und in mein Herz gräbt, all das was eben Eindruck macht, benötigt eine Möglichkeit sich auszudrücken. Das Schreiben von Gedichten und Texten, die Malerei oder die Musik, das Gestalten - in jeglicher Form -  hilft uns Menschen. Es entlastet und trägt wesentlich zur Trauerverarbeitung bei. Jeder Mensch hat Ressourcen. Es ist wichtig, uns diese bewusst zu machen - ganz besonders in Lebenssituationen, die "alles und noch viel mehr" von uns fordern.  

Wir danken Martina Hosse-Dolega für diesen Erfahrungsbericht im Rahmen unserer Interviews zum Thema "Abschied" während der Aktion Lichtpunkt 2014. 

Sie arbeitet mittlerweile in einem engagierten Bestattungshaus, das ihr den nötigen Raum für die sinnvolle Begleitung der Trauernden zur Verfügung stellt. Darüber hinaus ist sie als Trauerbegleiterin und Entspannungs- & Gesundheitspädagogin sowie als Präventionsberaterin aktiv. Ihre Webseite ist derzeit im Aufbau. Sie können aber über uns oder per Mail direkt mit Ihr Kontakt aufnehmen.

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